Road Trip nach Schweden, Part 6

Noch 4 Tage

Stimmengewirr weckt mich. Was ist da draußen los? Der Sturm der letzten Nacht ist vorüber. Mein Auto steht immer noch sicher am Strand und wurde nicht von der Flut weggespült. Diskordia sei Dank.

Heute ist Dienstag und ich werde heute nach Schweden rüberfahren. Nur noch 4 Tage bis zur Chiptunesparty in Stockholm. Draußen hat sich eine Horde Kinder um die Horde Ponies versammelt. Deswegen ist es so laut. Zum Glück fahren sie bald mit ihren Fahrrädern weiter; die Kinder, meine ich, nicht die Ponies! Ich lasse den Morgen ruhig angehen wie immer, nur das Frühstücken verschiebe ich auf später; erstmal will ich zumindest über die Storebæltbrücke fahren und dann mal sehen – entweder Frühstückspause auf Seeland oder direkt weiter auf die Öresundbrücke.

Der erste Song des Tages ist „Shakermaker“ von Oasis. Was für ein wunderbarer Start in den Tag! Ich drehe die Musik auf und feiere den Song, eigentlich wie jedes Mal, wenn ich ihn höre, weil Sifter‘s Records in Manchester darin vorkommt (und der Laden auch im Musikvideo zu sehen ist), und da bin ich extra mal hingefahren, den ganzen Weg raus nach MCR-Burnage, und habe mir da eine gebrauchte CD von den Happy Mondays gekauft, bar bezahlt bei Mister Sifter himself!, und habe mir meine Ehrfurcht in dem Moment absolut nicht anmerken lassen. Heute ist auch der Tag, an dem ich mit meiner „Ich höre den Auto-USB-Stick komplett durch“-Challenge brechen werde, weil ich ja unbedingt irgendwas von Bondage Fairies hören will, wenn ich die Landesgrenze zu Schweden überquere.

Die Überfahrt auf der Storebæltbrücke ist unspektakulär. Naja, eigentlich ist sie ziemlich cool, weil es ja doch eine verdammt riesige und sehr lange Brücke ist. Die Pylonen sind riesig, wie graue Mammutfüße. Die Tragkabel mit den Hängern spannen sich himmelweit über mir. Bin ich leicht zu beeindrucken? Dieses Bauwerk flasht mich jedenfalls voll. Bald erreiche ich Seeland und habe wieder festen Boden unter den Rädern. Trotzdem sind es noch hundert Kilometer bis nach Kopenhagen. Ich peile zunächst den Ikeaparkplatz kurz vor Kopenagen an, um nach den anderthalb Stunden Fahrt ein wenig Pause zu machen. Eine halbe Stunde, bevor ich ankomme, wechselt der Auto-USB-Stick von dem Oasis- in den Verschiedene-Titel-Ordner. Den Ordner, in dem auch „Pumped up kicks“ drin ist, mit dem ich vor acht Tagen auf diesen Trip gestartet bin. Ich überlege ernsthaft, ein bisschen langsamer nach Kopenhagen zu fahren, um bis zu meinem Fahrtziel auch bei meinem Songziel anzukommen. Zur Not bleibe ich einfach im Auto sitzen und höre den Ordner durch, bis das Lied kommt.

Aber das brauche ich gar nicht. Eine Viertelstunde vor der Ankunft beim Ikea läuft „Pumped up kicks“. Ich habe meinen Auto-USB-Stick durchgehört! Challenge complete! Success! Er reicht also exakt von meinem Bauernhof bis nach Kopenhagen!

Beim Ikea schließe ich mich erstmal im Klo ein, buche mich ins WLAN und aktualisiere alle meine Apps. Hole ich mir noch einen veganen Hotdog? Lieber nicht; ich habe keine Landeswährung bei mir. Überhaupt dieses Ding mit dem Bezahlen – wie ich las, sind Kreditkarten in Schweden gängiges Zahlungsmittel. Ratet mal, wer keine Kreditkarte besitzt. Deshalb habe ich etwas Schiss vorm Tanken, denn oftmals wird gar kein Bargeld mehr angenommen. Eigentlich möchte ich gerne jetzt sofort noch tanken, bevor ich wieder das Land wechsle. Ich rede mir ein, dass es machbarer ist, dass jemand aus Deutschland nach Dänemark rüberkommt, um für mich im Ernstfall die Tankfüllung zu bezahlen, als nach Schweden. Ich erzähle das David am Telefon und er sagt:

„Es kommt niemand nach Dänemark, um dir die Tankfüllung zu bezahlen.“

Ich muss also selber zusehen, wie ich an Benzin komme. Bei der Tankstelle vorm Ikea habe ich kein Glück. Sie kann nur per App bedient werden, und für die App brauche ich eine Handynummer mit dänischer Vorwahl. Also weiter. Bei der Circle-K-Tankstelle habe ich Glück. Nicht nur kann ich die Displayanzeige auf Deutsch umswitchen, es wird auch meine schnöde Debitkarte akzeptiert, und ich tanke randvoll. Jetzt bin ich entspannter, was Schweden betrifft. Damit komme ich fast bis vor die Tore Stockholms. Nun ist es an der Zeit, Musik zu skippen. Ich skippe alle Musikordner bis zum „Alfa Gaga Cp Wifi“-Album von Bondage Fairies (das letzte Album, released 2017). Frohgemut brettere ich los zur Öresundbrücke. Kurz vor der Brücke skippe ich zum selbstbetitelten dritten Album und drehe „Twenty Twelve“, mein Lieblingslied, voll auf. Genauso aufgedreht wie ich. Ich fahre auf die Brücke und überquere die Grenze und bin in Schweden! Die Brücke ist so lang, dass man zwei Mal hintereinander „Twenty Twelve“ hören kann. Auf der schwedischen Landmasse gibt es ersteinmal eine Grenzkontrolle, was mich etwas nervös macht, mit meinem voll eingerichteten Auto mit Bett hinten drin und alles.

„Where are you going to?“

„Ähm“, und aus irgendeinem Grund sage ich das erste, was mir einfällt, „Malmö.“

„On vacation?“

„Jap!“

Ich bekomme meinen Personalausweis wieder und werde gelangweilt durchgewunken.

Was wäre, wenn ich erst im August nach Schweden gefahren wäre? Würde man mir nach drei oder vier Monaten Testo noch ansehen, dass ich die Person bin, zu der dieser Personalausweis gehört? Wäre ich mitgenommen und befragt worden oder hätte man mir geglaubt, dass ich wegen der antiquierten deutschen Gesetzgebung von 1980 die Angaben auf meinem Ausweis nicht ohne Erniedrigung und großem finanziellen Aufwand korrigieren lassen kann und dass deswegen falsche Angaben und ein falsches Foto auf dem Ausweis abgebildet sind?

Ich bin froh, dass ich jetzt gefahren bin.

Und hier in Malmö ist auch schon der nächste Ikea. Ich parke kurz auf dem Parkplatz. Überlege das weitere Vorgehen. Stadt angucken? Postkarte kaufen? Geld besorgen? Auf einem Parkplatz in der Großstadt schlafen? Das möchte ich doch um jeden Preis vermeiden wegen der Bandenkriminalität! Es regnet die ganze Zeit. Nass, grau, Niesel, ungemütlich. Es sind noch 600 Kilometer bis Stockholm. 600 Kilometer in vier Tagen. Ich beschließe, statt hier lieber morgen in Jönköping Geld zu holen und für heute Nachmittag einen Schlafplatz irgendwo im Nirgendwo zwischen Malmö und Jönköping zu suchen. Bei Park4Night werde ich fündig: In der Nähe von Vittaryd gibt es etliche kleine Stellplätze an Bade- und Picknickstellen in der Natur. Das sind zwar noch einmal zwei Stunden Fahrt heute, und ich bin bereits zwei Stunden gefahren, aber was soll‘s. Was ich heute fahre, muss ich in den nächsten vier Tagen nicht fahren. Also los.

Nachmittags erreiche ich Sundet in der Nähe der kleinen Ortschaft Dörarp, und parke an dem großen See. Es gibt sogar ein Kompostklo. Und von hier sind es nur noch 400 Kilometer nach Stockholm.

Ich bin sehr müde und ausgelaugt.Vier Stunden Fahrt an einem Tag! Um zehn Uhr bin ich heute Morgen losgefahren, jetzt ist es halb vier nachmittags. Aber immerhin hat der Road Trip heute nicht nur mein Handy, sondern auch meine halbleere Powerbank komplett aufgeladen. Bloß mein Laptop ist dauernd leer, weil ich so viel schreibe.

Im Auto warte ich den Nieselregen ab. Es ist kalt. Fröstelnd wickle ich die Decke um mich. Auf dem Weg über die Liegewiese zum Kompostklo sind meine Stoffsneakers komplett durchnässt worden. Jetzt habe ich nasse, kalte Füße. Es sind ungefähr dreizehn Grad hier, es ist grau und trist und feucht und der See dunstverhangen. Aber es gibt hier auch einfache gezimmerte Umkleidekabinen mit Sitzbänken darin. Perfekt für mich, um mir endlich mal wieder was zu kochen, und dann noch regengeschützt! Ich mache mir einen Berg heißer Bratkartoffeln.

Später, als es wieder trocken ist, laufe ich ein bisschen draußen herum. Es gibt diesen riesigen See, und direkt an dem dran einen etwas kleineren See, der zu einem Fluss wird, und dort gibt es einen gepflegten Bootsplatz mit einem Holzpavillon, in dem ich Steckdosen entdecke, die jedoch tot sind. Trotzdem lässt es sich hier gut sitzen und mit kalten Fingern schreiben, während die düstere Wolkendecke sich lichtet und der Himmel immer blauer wird, bis das Vogelgezwitscher nach und nach wieder einsetzt.

Die Abendsonne kommt hinter den Dunstwolken hervor und taucht alles in ihr freundliches goldenes Licht. Die Luft ist kühl und klar. Ab und zu summt eine Fliege vorbei. Ansonsten ist nur mein Tippen zu hören und das leise Glucksen des Flusses, dessen Wasser gelegentlich sanft gegen die kleinen Boote schwappt, die hier vertäut liegen. Es ist still und friedlich und ich bin hier ganz für mich. Ich bin in Schweden angekommen.

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