Road Trip nach Schweden, Part 7

Noch 3 Tage

Die Nacht über war ich ganz allein bei dem malerischen Platz am See mit den kleinen Booten, die auf dem Wasser wogen. Noch 3 Tage bis zur Chiptunesparty in Stockholm. Der Morgen ist etwas grau und kühl. Trotzdem muss ich mich wieder überwinden und mir die Haare waschen; eine eiskalte Angelegenheit und sehr belebend.

Gestern hat etwas meine Aufmerksamkeit erregt, das ich mir heute genauer ansehen will: Bei Google Maps war nicht weit von hier, nur vier Autominuten entfernt, ein Denkmal für Cliff Burton eingetragen, und ich dachte, ich guck nicht richtig. Hier, mitten im Nirgendwo, mitten in Schweden, fernab jeglicher Zivilisation, wurde seltsamerweise ein Denkmal zu seinen Ehren aufgebaut. What the fuck?! Ich erzähle David davon am Telefon.

„Das war der Bassist von Metallica und der ist jung gestorben, vor Ewigkeiten, irgendwann in den 80ern, overdosed oder so, und der Typ war nichtmal Schwede, wieso stellt hier jemand ein Denkmal für den auf??“

„Irgendwem scheint das wichtig gewesen zu sein“, antwortet David weise.

Natürlich will ich wissen, was es damit auf sich hat, und fahre hin.

Das Denkmal ist direkt an der Landstraße und hat einen eigenen Parkplatz am Straßenrand. Ich parke, und hinter mir parkt auch jemand, und vor mir steht schon ein Auto. Hier ist ja voll was los! Aus dem Auto hinter mir steigt ein alter Opa aus. Er geht zum Denkmal, sieht es sich an. Geht zur den Infotafeln und schaut sich alles an. Cool, denke ich, ein Fan der ersten Stunde. Stimmt ja, alte Leute können ja auch gute Musik hören. Als der alte Mann wieder weg ist, bin ich dran. Das Denkmal ist ein schöner Grabstein mit Inschrift und Bild, und Fans haben hier ganz viele Dinge dagelassen, hauptsächlich Plektren, Steine und Bier. Es sieht schön aus. Von der Infotafel erfahre ich dann auch, was es mit diesem Ort auf sich hat: Cliff Burton hat sich nicht overdosed, wie ich vermutet hatte. Er ist genau hier bei einem Verkehrsunfall mit dem Tourbus verunglückt. Wow.

Dann geht es weiter Richtung Jönköping. Heute will ich tanken und Bargeld holen. Auf der Strecke werde ich fündig: die Tankstellenkette Circle-K, die ich ja schon aus Dänemark kenne, akzeptiert glücklicherweise meine Debitkarte. Und an einem Bankomat in irgendeiner Kleinstadt hebe ich ein wenig Geld ab. Das Display im Bankomat switcht sich auf Deutsch, als es meine Karte erkennt. Wieviel Geld soll abgehoben werden?, fragt es. 200? 500? 1000?

Bist du bekloppt, Geldautomat, denke ich, soviel habe ich ja nichtmal auf meinem Konto! Bis mir ein Licht aufgeht – ach so, der meint natürlich Kronen. 500 Kronen sind 50 Euro.

An einem Rastplatz mache ich Lunchbreak. Dort entdecke ich ein Schild mit Werbung für die Region. Das Schild schlägt vor, eine Klosterruine zu besuchen.

Okay, denke ich, warum nicht, die sieht cool aus. Es wird Zeit für den ersten Abstecher auf diesem Trip, um mal was von der Gegend zu entdecken! Das Kloster Alvastra ist also mein nächster Halt.

Wieder mitten im Nirgendwo, aber sehr schön gelegen, mit einem Bauernhof gleich nebenan, dem das weitläufige Gelände gehört. Leider werden die Ruinen gerade saniert und sind in Plastikplanen und Bauzäune eingehüllt. Radiogeplärre dringt durch die altehrwürdigen Gemäuer und Bauarbeiter machen Lärm. Keine Spur von mittelalterlicher Klosterromantik. Ich mache ein paar Fotos von ein paar Stellen, bei denen nichts von der Baustelle zu sehen ist, aber es sind nur wenige.

Als ein Reisebus auf den Parkplatz einbiegt und einen Schwall lärmender Schulkinder auskotzt, mache ich mich schleunigst wieder auf den Weg. An der Landstraße taucht eine weißgetünchte kleine Kirche auf, die ich einfach entzückend finde. Richtig malerisch. Spontan beschließe ich, hinzufahren. Gute Entscheidung – die Kirche gehört zum Rökstenen, von dem ich vorhin schon kurz gelesen habe, den ich aber nicht extra anpeilen wollte. Und nun bin ich doch hier.

Rökstenen ist ein großer Findling, auf den irgend so ein abgedrehter Typ mal völlig verworrenen Scheiß in Runenschrift hat einmeißeln lassen, nachdem sein Sohn gekillt wurde. Auf einem Schild steht die deutsche Übersetzung, und aus der werde ich nicht schlau. Mir schwant, dass das Gebrabbel in überhaupt keiner Sprache Sinn macht. Immerhin kommt Thor drin vor und das ist meine erste Berührung hier mit der nordischen Mythologie!

Ich fahre weiter.

Jönköpig habe ich schon längst hinter mir gelassen, die nächste große Stadt ist Linköping. In einem Vorort davon, Malmslätt, parke ich bei einem Luftwaffenmuseum (Flygvapenmuseum, liebevoll Flyvapmus abgekürzt). Der Parkplatz ist ganz gut, hier bleibe ich heute Nacht. Und das Museum ist kostenlos! Aber als ich den Nerv habe, hineinzugehen, schließt es gerade, und ich verschiebe meinen Besuch auf morgen Vormittag.

Zu Fuß wandere ich zum nächstgelegenen Supermarkt. Ich war bisher noch gar nicht in Schweden einkaufen. Ich liebe es, im Ausland einkaufen zu gehen! Es macht mir Spaß, durch die Supermarktregale zu stöbern und unbekanntes veganes Zeug zu entdecken! Mal sehen, was ich heute finde. Da meine Vorräte mit deftigen Mahlzeiten noch ganz gut bestückt sind, will ich mich jetzt mehr auf ungesundes Zuckerzeugs konzentrieren. Davon habe ich im Vorfeld extra nichts eingepackt, damit ich mal gesünder lebe und vielleicht sogar von der Schokolade loskomme. Aber die Entzugserscheinungen sind zu hart.

Ich finde: Schokoladenkekse namens KEX, vegane Käsechips, Limettenguacamole in der Tube, und weil ich so vernünftig bin, auch eine Tüte frischer Äpfel, und außerdem vegane Pistanzienschnecken, weil die Zimtschnecken (sowas wie das schwedische Nationalgericht) Eier enthielten. Den Rest des Abends verbringe ich im Auto und futtere mich durch meine kulinarischen Neuanschaffungen. Die Käsechips stehen auf der Favoritenliste eindeutig ganz oben. Ganz, ganz oben.

Irgendwann im Laufe des Abends verabschiedet sich meine Powerbank. Leer. Jetzt habe ich nur noch eine einzige volle Powerbank. In einem Anflug von Panik beginne ich eine fieberhafte Recherche, wie ich in Stockholm an Strom kommen kann. Ich finde nichts über E-Bike-Ladestationen, nur von E-Autos ist immer die Rede. Das bringt mir herzlich wenig. Irgendwann stoße ich auf ein Geschäftsmodell, von dem ich zuvor schon gehört habe, allerdings nur aus China, aber offenbar auch in Schweden auf dem Vormarsch: in Bars und so stehen Stationen mit Powerbanks, die man sich für ein paar Euro ausleihen und später wieder irgendwo abgeben kann. Ich bin erleichtert. Zum Glück! Direkt installiere ich mir Apps von vier verschiedenen Anbietern. Einer davon sollte doch funktionieren. Bleibt trotzdem noch die Frage zu klären, wo in Stockholm ich überhaupt parken möchte. Da tappe ich immer noch im Dunkeln. Bei Park4Night habe ich noch keinen Platz entdeckt, der mir so 100%ig gut gefällt. Wahrscheinlich muss ich einfach meine Ansprüche runterschrauben und vor allem einsehen, dass ich um und in Stockholm nur gegen Geld irgendwo parken kann. In Schweden ist es nämlich verboten, am Straßenrand zu parken. Parken geht nur auf dafür ausgewiesenen Parkplätzen oder halt auf deinem Privatgrundstück.

Aber darüber kann ich mir auch morgen Gedanken machen. Von hier sind es noch 200 Kilometer bis nach Stockholm.

Der Parkplatz des Luftwaffenmuseums ist riesig und nachts etwas unheimlich, weil so groß und leer, aber bald stellen sich ein, zwei Wohnmobile dazu und ich bin beruhigter. Es wird eine ruhige Nacht.

Noch 2 Tage

Aus irgendeinem Grund beschließe ich morgens, zu einem nahegelegenen Pfadfinderheim zu fahren. Vielleicht gibt es dort ja eine Steckdose. Öffentliche Toiletten sind dort allemal vorhanden, wie meine Klo-App mir verrät.

Das Pfadfinderheim ist am Stadtrand in der Natur gelegen und die Toiletten sind sauber und beheizt. Aber es gibt keine Steckdosen. Trotzdem freue ich mich, weil ich jetzt im Waschbecken mal in Ruhe meine Haare waschen kann. Außerdem fülle ich Wasserkanister auf und putze mir die Zähne. Dann schleiche ich um das Gebäude herum, bis ich Steckdosen finde. Tot. Mist. Wieder kein Strom für mich. Nach dem Frühstück fahre ich zurück zum Luftwaffenmuseum, das inzwischen geöffnet hat. Sicherheitshalber frage ich nochmal, ob der Eintritt auch wirklich frei ist.

Ja, ist er.

Drinnen stehen in großen Hallen Unmengen uralter Flugzeuge, manche hängen auch von der Decke. Die Flugzeuge sind aus dem kalten Krieg. Sie sehen in ihrem 50er-Jahre-Style so niedlich aus, das ich sie nicht ganz ernstnehmen kann. Naja, aber sollte so ein Ding mal über mich hinwegfliegen und Bomben abwerfen, würde die Sache sicherlich anders aussehen.

Am meisten interessiert mich das Kellergeschoss; dort soll ein abgeschossenes Flugzeug ausgestellt sein.

Das ist so krass.

Der Keller ist dunkel und durch schummrige dunkelblaue Beleuchtung und unheimliche Geräusche wird eine apokalyptische Atmosphäre erzeugt. Das Flugzeugwrack der abgeschossenen DC-3 nimmt die gesamte Etage ein. Es ist in einen gigantischen Glaskasten eingesperrt. Es ist einfach riesig – ein riesiges, verbeultes, aufgefetztes Flugzeug mit aufgeschlitztem Rumpf und verbogenen Propellern und abgeknickten Flügeln und unzähligen Trümmerstücken in dieser beklemmenden Dunkelheit, diffus beleuchtet und still liegt die Blechleiche da bis in alle Ewigkeit.

Neben einer Sitzbank entdecke ich eine Steckdose. Rein zufällig habe ich mein Schnellladekabel fürs Handy dabei; ich kniee mich hin, packe geschäftig meinen Rucksack aus und mache mich mit dem Kabel an der Steckdose zu schaffen.

Dude, du siehst aus wie ein Bombenleger, denke ich, wie ich da auf den Knien mit Rucksack und Kabel am Boden im Dunkeln herumhantiere, gleich kommt jemand von der Security. Und am Eingang hast du Englisch gesprochen, die wissen, dass du Ausländer bist, und jetzt so eine Aktion?! Wenn die das auf den Überwachungskameras sehen, rufen die doch sofort die Polizei und evakuieren das Gebäude! Aber niemand kommt. Ich setze mich mit meinem angeschlossenen Handy auf die Bank und warte, bis es aufgeladen ist. Ich sitze eine halbe Stunde lang, dann wird es mir zu langweilig, durchweg die abgeschossene DC-3 anzustarren. Wenigstens konnte ich die Zeit auch nutzen, mir den nächsten Schlafpatz rauszusuchen. Einen einzigen Stopp will ich noch machen, bevor ich in Stockholm ankomme. Ich will nach Oxelösund an die Schärenküste.

Gesagt, getan.

Ein schöner großer kostenloser asphaltierter Parkplatz mitten in der Natur an der Meeresküste. Am ganz südlichsten Landzipfel befindet sich das Femörefortet, welches durch einen urwüchsigen Rundwanderweg erschlossen ist. Das Femörefortet ist eine Art Fort, aber unter der Erde, beziehungsweise, in der Felsenküste! Es wurde für den kalten Krieg angelegt. Schon wieder der kalte Krieg. Wieso ist der hier so präsent? Leute, habt ihr nicht mitbekommen, dass wir einen zweiten Weltkrieg hatten? Das ist doch der wichtigste Krieg der Geschichtsschreibung! Ist hier in Schweden aber offenbar anders. Mein Erstaunen darüber ist übrigens meiner Geschichts- und Politikaversion geschuldet, sprich: aus purem Desinteresse herrührendes Unwissen.

Aber jetzt wandere ich durch die schwedische Wildnis, immer einen kleinen, fast unsichtbaren Pfad entlang, der manchmal irgendwie auch gar nicht vorhanden ist. Alle zehn Meter oder so steht irgendwo entweder ein kleines orangefarbenes pfeilförmiges Holzzschild im Dickicht oder irgendein Baum ist mit einer orangefarbenen Markierung versehen, und da soll man dann langgehen. Auch wenn sonst nicht viel von einem Weg zu erkennen ist.

Seltsam, denke ich, wie man sich beim Wandern vertrauensvoll in die Hände von ein paar Markierungen begibt. Da ist kein Mensch, dem man vertraut, einen sicher durch die Wildnis zu geleiten, nichtmal ein Tier, dem man folgt. Nein, es sind ein paar Farbkleckse an den Bäumen, denen ich blind folge, und wenn ich plötzlich keine mehr entdecken würde, dann würde ich in Panik ausbrechen und hätte mich verlaufen. Man denkt selber nicht darüber nach, wo man entlanggeht. Die Farbkleckse sagen es dir, und du tust es einfach.

Ich komme zur ersten Kanone, die in die Felsen gebaut ist. Anstatt sie genauer anzusehen, klettere ich lieber die steinige Böschung hinunter zur Wasserkante, wo das Meer gegen die Felsmassen schäumt. Auf dem Steinboden, inmitten dieses rauhen Klimas, wachsen winzigkleine wilde lila Stiefmütterchen, die im Wind zittern. Wahrscheinlich ist es verboten, was ich hier gerade tue. Im Naturreservat fernab der Wege in den Felsen am Wasser rumkraxeln.

Ich gehe wieder zurück und setze den Weg fort. Auf der einstündigen Wanderung begegnet mir noch so manche Kanone, außerdem ein Radarteil und ein Laserturm. Voll abgefahren! Fühlt sich an, als wäre ich im Computerspiel Factorio gelandet. Das alles in dieser grünen, zugewachsenen, undurchdringlichen, bewaldeten, felsigen Natur. Ich verstehe jetzt, weshalb sich die Menschen hier ihre nordische Mythologie zurechtgedacht haben. Sie scheint mir in dieser Umgebung plötzlich eine plausible Erklärung zu sein. Eine Stunde hier drin, fernab der Zivilisation, und ich kann gut nachvollziehen, wieso allgemein angenommen wurde, dass hier Trolle und Elfen und was weiß ich für Wesen hausten, und dass man sich dachte, dass es allerhand mächtige Götter gab, und vielleicht verstehe ich sogar bald die Logik, weshalb sich die Welt auf dem Rücken einer gigantischen Schlange befinden könnte. Dies alles scheint mir plötzlich gar nicht mehr so abwegig.

Jedenfalls weitaus plausibler als der ganze christliche Stuss, der einem von Kindesbeinen an eingetrichtert wurde.

Mittags erreiche ich wieder meinen Parkplatz, und da es andauernd regnet, und meistens so ein fieser feiner Nieselregen, verbringe ich den Rest des Tages gemütlich mit einem Buch im Auto.

Morgen werde ich endlich Stockholm erreichen. Ich bin seit zehn Tagen unterwegs.

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